In der Dunkelheit des Arbeitszimmers, nur erhellt durch den schwachen Schein des MacBooks, tippt Sarah das letzte Wort ihres Drehbuchs. Mit einem kleinen Freudenschrei lehnt sie sich zurück. Sie ist noch voller Energie, fast vibrierend vor Anspannung und Vorfreude. Ohne zu zögern lädt sie die Erstfassung ihres Werks in die Dramaturgie-KI hoch. Schnell holt sie sich in der Küche eine Kanne Tee. Als sie zurückkommt, erklingt die sanfte Stimme ihrer persönlichen KI, die erst einmal wichtige Punkte lobend erwähnt. Während Sarah an ihrem Darjeeling nippt, erklärt die KI, dass sie sich intensiv mit der Hauptfigur und ihrer Charakterentwicklung beschäftigt hat. Sie gibt einige Hinweise, wie Sarah das Potenzial voll ausschöpfen kann. Neugierig geworden, fragt Sarah nach. Die KI erläutert die Fragen und bietet auch Lösungsansätze an. Sarah bittet die KI, die maßgeblichsten Punkte zu notieren, was diese sofort umsetzt. Die Autorin interagiert, hakt nach, treibt die KI zu tieferen Analysen und schärferen Einsichten. Das Gespräch dauert fast eine ganze Stunde und im Anschluss findet Sarah das Ergebnisprotokoll auf ihrem virtuellen Schreibtisch. Für einen Moment überlegt sie, ob sie sich gleich an die Überarbeitung setzen soll, dann aber beendet sie mit einem letzten Blick auf den Bildschirm ihre Arbeit. Die Resonanz des Abends, das Gefühl der erfüllten kreativen Beratung, bleibt.
Die Szene, die für manche nach einer fernen Zukunftsvision klingen mag, ist heute schon technisch möglich. Ja, mag der eine oder andere denken, aber wie sieht es mit der Qualität der dramaturgischen Arbeit der KI aus? ‚Da kann die Maschine dem Menschen nicht das Wasser reichen‘, winken sie ab. Das ist einerseits richtig, auf der anderen Seite nur die Hälfte der Wahrheit. Schon vor einigen Jahren hat es Ansätze gegeben, mithilfe der Künstlichen Intelligenz Drehbücher einzuschätzen. Wer diese Modelle vor fünf Jahren ausprobiert hat, konnte sich wirklich zurücklehnen und über die Dummheit der Maschine lästern. Dies hat sich inzwischen geändert. Tatsächlich sind die Ergebnisse der KI in der Einschätzung von Exposés, Treatments und ganzen Scripts sehr weit fortgeschritten.
So existiert heute schon eine KI, die auf die Analyse eines Drehbuchs spezialisiert ist. Das KI-Modell Scriptreader.ai bietet für 5 Dollar einen detaillierten 100-seitigen Bericht, der Überprüfungen zu Dialog, Konzept, Handlung, Konfliktniveau und explizite Vorschläge zur Verbesserung jeder Szene umfasst. Es gibt aber auch ein umfassenderes Paket namens Director's Cut für 9.99 Dollar, das zusätzlich eine Executive Summary mit Marktfähigkeitsanalyse, einer sogenannten Pass/Consider/Recommend-Sektion, einer Bewertung des USP, thematischer, tonaler und stilistischer Analyse, einer Begutachtung der Storystruktur, Vergleiche mit ähnlichen Geschichten und die Identifikation der Stimme der schreibenden Person bietet.
Diese erhält eine umfassende Bewertung im Rahmen der Analyse, die neben einer generellen Einschätzung eine detaillierte Betrachtung jeder einzelnen Szene umfasst. Hierbei werden Stärken sowie Schwächen beleuchtet und mit einer Evaluation versehen. Darüber hinaus bietet das Modell konstruktive Verbesserungsvorschläge für jede Szene an.
Erstaunlich ist erst einmal die Geschwindigkeit, mit der Scriptreader.ai seine Arbeit erledigt. Die gesamte Analyse der KI braucht nur wenige Minuten. Dies gilt im Übrigen für alle Einsätze der KI. Die Zusammenfassung eines 30-seitigen Aufsatzes liefert eine KI in Sekunden und umfassende und detaillierte Informationen über den Westfälischen Frieden erfolgen so schnell, dass nicht genug Zeit bleibt, einen Schluck Tee zu trinken.
Die Ergebnisse von Scritpreader.ai sind zwar sehr ausführlich, aber meist allgemein und oberflächlich. Allerdings sind gut ein Viertel der Anmerkungen richtig und deckungsgleich mit den Diagnosen, die ein Profi leistet. Für Unerfahrene stellt sich aber nun die Frage, welche der Kommentare die entscheidenden und nutzbringenden sind. Und welche gar falsch sind, weil die KI bestimmte Zusammenhänge nicht verstanden hat. Und natürlich umfassen die Anmerkungen nicht alle wichtigen Punkte, die ein Profi in der Analyse aufzeigen würde. So verlangt die Lektüre des Berichts dann doch wieder eine dramaturgisch erfahrene Person, die das Material bewerten kann. Denn während die KI hervorragend darin ist, Strukturen und Muster zu erkennen, hat sie die Schwierigkeit, die Feinheiten menschlicher Emotionen und komplexer narrativer Elemente vollständig zu erfassen. Dies führt meist dazu, dass subtilere Aspekte des Storytellings übersehen werden.
Natürlich bestehen die Analysen auch anderer KI Modelle aus vielen Allgemeinheiten und Platzhaltern, aber immer wieder überraschen die Ergebnisse. Und wir haben es bei den derzeitigen Modellen mit noch sehr unerfahrenen Künstlichen Intelligenzen zu tun, die sich aber in den kommenden Jahren weiterentwickeln werden. Heute ein abschließendes Urteil über die KI abzugeben, hieße, aufgrund der Leistungen eines zehnjährigen Schulkinds zu schließen, dass es nie eine gute dramaturgische Arbeit leisten kann. Wer sich im letzten Jahr intensiv mit der Arbeit der KI beschäftigt hat, kann nur davor warnen, die Herausforderungen nicht ernst zu nehmen. Diejenigen, die heutzutage den dramaturgischen Kopf in den Sand stecken, werden irgendwann von den Entwicklungen überrollt werden. Die exponentielle Evolution in der Technologie und stetige Verbesserung der Algorithmen lassen darauf schließen, dass KI-Systeme in naher Zukunft Aufgaben übernehmen könnten, die heute noch undenkbar erscheinen. Die Frage ist nicht, ob, sondern wann und in welchem Umfang.
Es ist daher unerlässlich, dass wir uns jetzt mit den politischen und praktischen Implikationen dieser fortschreitenden Technologien auseinandersetzen.
Von einigen wird die Integration von KI in die Dramaturgie oft als Bedrohung für die kreative Integrität und von Arbeitsplätzen wahrgenommen. Die Technik als Teufelszeug zu verdammen und davor zu warnen, sich damit zu beschäftigen, ist ebenso wenig hilfreich. Stattdessen sollten wir KI als ein Werkzeug betrachten, das, wenn es richtig eingesetzt wird, die kreative Arbeit unterstützen und erweitern kann. Es geht darum, eine Synergie zwischen menschlicher Kreativität und maschineller Effizienz zu finden, um neue Formen der Tätigkeit zu erschließen. Die frühzeitige Auseinandersetzung mit dieser Technologie ermöglicht es den Profis, sie zu gestalten und zu beeinflussen, anstatt von ihr überholt zu werden.
Auf der anderen Seite sind übertriebene Erwartungen ebenso falsch und irreführend. Die oben beschriebene Szene ist eine realistische Fiktion, aber sie wird in den kommenden Jahren nicht genauso passieren, weil die KI immer noch der menschlichen Unterstützung bedarf. Nicht nur beim Schreiben selbst, sondern auch bei der dramaturgischen Arbeit muss die Maschine von Menschen kuratiert werden. Dramaturgisch Erfahrene müssen einschätzen, welche Hinweise falsch sind (weil die KI zum Beispiel einen Subtext nicht erkennt) und welche wirklich hilfreich sind. Vielleicht wird - wenn das Schulkind älter geworden ist - auch dies weniger notwendig. Doch in absehbarer Zeit werden immer noch Profis gebraucht, deren Arbeit zunehmend wichtiger wird, weil die KI stärker in der Kreation von Stoffen eingesetzt wird.
Insofern können wir beruhigt in die Zukunft schauen. Im Gegenteil können wir die KI schon heute als Hilfsmittel für die Arbeit einsetzen. KI-Tools können Routine Tasks übernehmen und Profis mehr Raum für kreative Entscheidungen lassen. So kann es in der Beschäftigung mit einem Drehbuch notwendig sein, sich einmal alle Szenen einer Nebenhandlung anzuschauen, um diese auf ihre Konsistenz zu überprüfen. Mit fortschrittlichen KI-Modellen ist dies natürlich möglich. Vielleicht entsteht basierend auf einem Treatment die Idee, dass die Hauptfigur doch eine andere Figur sein sollte. Mit Hilfe der KI kann dies testweise in wenigen Sekunden ausprobiert werden. So schreibt die Maschine die bereits existierenden 15 Seiten um, sodass eine andere vorgegebene Figur die Hauptfigur ist. Natürlich kann das Material nicht eins zu eins verwendet werden. Es geht darum, schnell einen Einblick zu gewinnen, ob der Ansatz sinnvoll ist. Manche Dialoge entfalten nicht genügend Dynamik, weil die Frage, wer in der Szene den Hoch- und wer den Tiefstatus innehat, nicht interessant gestaltet ist. In der Beratung kann die KI beauftragt werden, einen Dialog mit einer anderen Statussituation umzuschreiben. Die Figur mit dem Hochstatus soll also den Tiefstatus erhalten und umgekehrt. So ist sehr schnell ersichtlich, ob eine Überarbeitung in diesem Sinne reizvoll ist.
Dies sind nur einige wenige Beispiele, wie die KI in die dramaturgische Arbeit eingebunden werden kann. Es ist also sehr wahrscheinlich, dass die Autorin Sarah in Zukunft zusammen mit ihrer Dramaturgin und unterstützt durch die KI an ihrem Drehbuch arbeiten wird.