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Planetares Erzählen - Ein ganzheitlicher Ansatz für Geschichten über Klimawandel und ostdeutsches Leben

Es ist ein heißer, trockener Sommer in Klein-Schappleben. Selfmade-Unternehmer Micha kehrt aus Berlin in das kleine Dorf seiner Kindheit nach Sachsen-Anhalt zurück. Im Gepäck hat der Game-Designer eine Idee, mehr noch: Eine Vision! Denn Micha denkt groß: Aus dem maroden ehemaligen Hotel seiner Eltern will er ein Luxushotel mit Wellness-Oase für gestresste Großstädter machen. Die zerstrittene Dorfgemeinschaft ist skeptisch, was Michas Vorstellungen in Bezug auf ihre Beteiligung an diesem waghalsigen Projekt angeht: Lediglich Michas Schulfreundin Tina und seine Partnerin Jenny lassen sich darauf ein, Michas ehrgeizigen Pläne weiterzuverfolgen. Die anhaltende Hitze, das versiegende Grundwasser und die mit Genuss verbreiteten Verschwörungstheorien des pensionierten Lehrers Bernd Schlüter tun das ihrige. Am Ende liegt das ganze Dorf auf dem Trockenen – und die Bewohner*innen müssen lernen, dass sich die Zukunft von Klein-Schappleben nur gemeinsam gestalten lässt.

ARD/Degeto/MDR/Florida Film/Thomas Leidig

Die Impro-Komödie MICHA DENKT GROß, feierte auf dem Filmfest München 2024 Premiere und ist aktuell in der ARD-Mediathek zu sehen. Entwickelt wurde der Film von Regisseur, Autor und Produzent Lars Jessen gemeinsam mit Jan Georg Schütte, Christian Riedel und Charly Hübner. Hier erzählt Lars Jessen uns über die Drehbuchentwicklung, die Notwendigkeit eines Bewusstseins für ostdeutsche Erzählungen und die Bedeutung des Planetaren Erzählens.

WP: Wie hat sich dein Bewusstsein für das Thema Green Storytelling entwickelt? Gab es dafür einen besonderen Auslöser?

In den letzten Jahren habe ich bereits sehr intensiv an der Umstellung unserer Industrie mitgearbeitet, was Mindeststandards für das Green Film Shooting und den Grünen Drehpass in Hamburg betrifft. Ich habe jedoch festgestellt, dass das letztlich immer ein Schwimmen gegen den gesellschaftlichen Strom ist. Wir können unsere Industrie zwar umstellen, jedoch bewegen wir durch klimabewusste Erzählungen letztendlich mehr. Geschichten können Impulse für positive Veränderungen setzen. Diejenigen, die das gut können, also unsere Branche, sollten sich dem Thema bewusst annehmen. Persönliche sehe ich den Begriff Green Storytelling eher problematisch, da er das Thema stark reduziert. Darum habe ich zusammen mit der Medien- und Umweltrechtlerin Nicole Zabel-Wasmuth die Initiative Planet Narratives gegründet, die eher einen ganzheitlichen Ansatz des Planetaren Erzählens verfolgt.

WP: Ein zentraler Aspekt von MICHA DENKT GROß ist die Dynamik innerhalb der Dorfgemeinschaft, wobei das Miteinander anstelle des Gegeneinanders von großer Bedeutung ist. Wie lief die Zusammenarbeit im Drehbuchprozess?

Charlie Hübner, Jan Georg Schütte und ich arbeiten bereits seit Längerem in unterschiedlichsten Formen zusammen und haben in der Pandemie eine Art Drehprinzip entwickelt, das ein schnelleres Vorgehen als üblich bei der Filmproduktion ermöglicht. Das hat uns so viel Spaß gemacht hat, dass wir es beibehalten wollten. Gleichzeitig wollten wir zukünftig jedoch wieder mehr Zeit in die Entwicklung des Drehbuchs und auch den Dreh investieren.

Die Grundidee für den Film kam von Charly Hübner, der sich der nachgewiesenen zunehmenden Trockenheit in seiner alten Heimat Mecklenburg bewusstwurde. Dies führt zu Schwierigkeiten in der Landwirtschaft, aber auch im allgemeinen Umgang miteinander. Sehr schnell entstehen so existenzielle Probleme, z. B. wenn wie im Film der Brunnen versiegt. Mit dem Film versuchen wir, den Klimawandel weniger abstrakt zeigen, und stattdessen zu fragen: Was macht das eigentlich mit uns als Menschen und unserer Umgebung? Also haben wir angefangen, eine Geschichte zu entwickeln, die gleichzeitig Klimakrise, gesellschaftliche Spaltung und Ost-/West-Konflikt als Komödie für den Freitagabend erzählt.

Der Sender hat uns, auch was unseren Arbeitsprozess betrifft, sehr unterstützt. Im Grunde schreiben wir nach sehr ausgiebiger Recherche ein Drehbuch, entwickeln mit den  Schauspieler*innen jedoch separat ihre Figuren – ohne, dass sie das Drehbuch kennen. Wir drehen innerhalb von 6-7 Tagen den Film chronologisch mit 3-5 Kameras. Wir als Team haben ein klares Konzept. Die Schauspieler*innen bekommen am Abend vor dem Dreh von uns so sogenannte Spielaufgaben, z.B. sich mit den Geheimnissen und verborgenen Wünschen ihrer jeweiligen Figur auseinanderzusetzen. Beim Dreh haben sie ihre Figuren zumeist so verinnerlicht, dass sie genauso spielen, wie es den Bedürfnissen des Drehbuchs entspricht.

ARD/Degeto/MDR/Florida Film/Moritz Schultheiss

WP: MICHA DENKT GROß greift den Zusammenhang zwischen Kapitalismus und Klimawandel auf – und beleuchtet damit auch die dadurch entstehenden sozio-ökonomischen Folgen für die Filmfiguren. War es von Beginn an eine bewusste dramaturgische Entscheidung, durch die Geschichte auch ein Stück Ostdeutschland zu erzählen?  

Ja, das wollten wir ganz explizit so machen. Ich bin ja ein klassisch westsozialisierter Mensch und habe relativ spät verstanden, dass es auch ein Versäumnis ist, sich nicht umeinander zu kümmern. Durch meine erste Zusammenarbeit mit Charlie Hübner in 2013 habe ich mich zum ersten Mal richtig mit dem Thema Ostdeutschland auseinandergesetzt – und ehrlicherweise auch ein wenig geschämt bezüglich meiner vorherigen (Nicht)Haltung.

Auch bin ich überzeugt, dass wir uns beim Geschichten erzählen nicht nur immer das aussuchen sollten, was wir unserer Ansicht nach souverän beleuchten können. Wir sollten dahin gehen, wo Wandel und auch Konflikt stattfindet, um durch Fiktion ein Angebot beizutragen, dass sich aus der Realität vielleicht nicht so einfach ablesen lässt – vor allem, wenn immer nur auf das Schlechte und Trennende geschaut wird. Filme und Serien können hier auch Möglichkeitsfenster in der Zukunft öffnen, die zum Handeln inspirieren können.

WP: In der Vergangenheit wurde der Klimawandel häufig als Katastrophenfilm inszeniert. MICHA DENKT GROß beleuchtet das Thema dagegen auf humorvolle Weise. Worin siehst du im Komödiengenre Vorteile, dem Publikum das Thema näher zu bringen?

Unser Gehirn wird sehr stark von Angst getriggert. Leider ist eine verunsicherte Gesellschaft auch ein idealer Nährboden für gesellschaftliche Spaltung, weil man dann immer jemand für ein komplexes Problem die Schuld geben kann. Deswegen funktionieren Thriller und Krimis einfacher als Komödien oder auch Geschichten vom Gelingen. Ich habe selber an zahlreichen Krimis gearbeitet und damit auch Erfolg gehabt, doch irgendwann wollte ich ein kreatives Risiko eingehen und habe mich dem Genre Komödie zugewendet.

Es wurde vielfach nachgewiesen, dass Humor zu einer Entkrampfung des Körpers führt. Durch die Mundbewegung des Lächelns oder Lachens werden Hormone ausgeschüttet, die ein gutes Gefühl verbreiten. Komödien können hier somit einen wichtigen Beitrag zur Debatte liefern, um die angespannte Diskussion über den Klimawandel oder auch andere Themen zu entkrampfen.

ARD/Degeto/MDR/Florida Film/Thomas Leidig

WP: Der Film präsentiert dem Publikum keine einfachen Antworten auf das handlungsauslösende Problem der Dürre. Vielmehr setzt das Ende auf eine positive Entwicklung im Konflikt innerhalb der Dorfgemeinschaft – mit offenem Ergebnis. Was möchtest du dadurch dem Publikum mitgeben?

Ich möchte ihnen klarmachen, dass Konflikt nichts Schlimmes und letztendlich auch ein wichtiger Teil unseres Zusammenhalts ist. Es ist eigentlich ein Privileg, miteinander streiten zu können, denn dadurch können wir unsere persönlichen Meinungen auch immer wieder überprüfen. Stimmt meine Sichtweise eigentlich mit der Realität überein? Vielleicht betrifft mich die Trockenheit im Film nicht persönlich, doch sie ist Realität für einen Teil der Bevölkerung. Mit dem Film wollten wir daher verdeutlichen, dass unser Diskussionssystem oft fiktiv und gar nicht in der Realität verankert ist. Auch anderen die Schuld an einem Problem zu geben, fühlt sich nur kurzfristig ein wenig besser an. Stattdessen sind Kompromisse notwendig, um gemeinsam eine Lösung zu erzielen. Im Film ist das eben am Ende die Kiste Bier, die auf den Tisch gestellt wird, nachdem sich alle zuvor die Köpfe eingehauen haben – und jemand, der sagt: „Lasst uns ein Bier trinken und schauen, wie wir jetzt gemeinsam aus der Scheiße wieder rauskommen.“

WP: Wie lässt sich in unserer Branche mehr Bewusstsein schaffen, sich bereits bei der Drehbuchentwicklung mit Themen wie Umwelt und Klimawandel auseinanderzusetzen?

Eigentlich ist bei Klimaerzählungen bereit das Framing unpassend. Wir schreiben hier gar nicht über das Klima, wir schreiben über uns. Das Klima ist der Raum, unsere Lebensgrundlage. Es stellt sich die Frage, wie wir damit umgehen? Erzählen wir den Status Quo, weil das letztlich einfacher ist? Dann erzählen wir letztendlich das alte, fossile Narrativ; z. B. durch Protagonisten, die permanent mit dem Auto unterwegs sind, obwohl es ja in gerade im städtischen Raum ein Angebot alternativer Fortbewegungsmittel gibt. Wenn wir das als Branche nicht mehr unterstützen wollen, müssen wir uns dazu bekennen und auch Geschichten erzählen, die einen Anlass bieten, anders auf die Welt zu sehen. Am Ende muss das jeder Autorin oder Dramaturg*in aber für sich persönlich entscheiden.

Ich habe jedoch immer extrem gute Erfahrungen damit gemacht. Die Menschen, die an den Veranstaltungen unserer Initiative teilnehmen, egal ob in der Öffentlichkeit oder bei Workshops mit Sendern oder Förderanstalten, sind zu Anfang häufig ein wenig reserviert. Doch fast überall erreichen wir am Ende ein Gefühl der Gemeinschaft. Sie realisieren, dass wir als Branche einen großen Hebel haben, den wir alle gemeinsam umlegen können. Es ist uns wichtig, die Menschen zu ermutigen, durch ihre Geschichten Teil einer neuen Welt sein. Dabei lehnen wir ein allzu enges Framework ab. Wir wollen eher die Kreativität der Menschen entfesseln, durch ihre Kompetenzen in der Stoffentwicklung Teil der Lösung zu werden.

WP: Was ist deine Definition eines gelungenen „Planetaren Erzählens“?

Ich empfinde dies als eine Form von Handlungsaktivierung, wenn ich aus dem Kino komme oder aus dem Fernsehsessel aufstehe. Im Fall von MICHA DENKT GROß wäre dies vielleicht ein Anruf bei den Nachbarn und die Frage nach deren Befinden - oder die Frage, wie wir als Hausgemeinschaft eigentlich zusammenleben. Idealerweise hat die Geschichte also eine Impulswirkung. Es ist wichtig, dass wir nicht immer wieder dieselben Geschichten von der Schlechtigkeit des Menschen oder der Ausweglosigkeit der Situation erzählen.

In der Vergangenheit hätte ich vielleicht auch Tools wie z. B. Checklisten genutzt, doch heute setze ich mehr auf Inspiration. Auf unseren Veranstaltungen von Planet Narratives weisen wir immer wieder auf tolle Bücher hin, die zeigen, dass die Welt häufig gar nicht so schlecht ist wie in unserer Vorstellung. So belegt auch der niederländischer Historiker Rutger Bregman in seinem Werk IM GRUNDE GUT, dass Menschen von Natur aus kooperativ und fordert zu einem Umdenken über das angeblich Böse im Menschen auf.

Daher wünsche ich mir mehr positive Erzählungen, die unsere Branche und das Publikum gleichermaßen inspirieren, sie zum Reden und schlussendlich auch zum Tun bewegen.